Hausärztinnen und Hausärzte in Einzelordinationen waren nie wichtiger als heute
Corona hat eindeutig bewiesen, dass wohnortnahe medizinische Versorgung durch nichts zu ersetzen ist
„Die flächendeckende medizinische Infrastruktur in Österreich ist weltweit einzigartig. Mehrere tausend Hausärztinnen und Hausärzte sind gleichmäßig nach einem über mehrere Jahrzehnte entwickelten Stellenplan im ganzen Land verteilt und sorgen dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger auf kurzem Weg zu hochwertiger medizinischer Versorgung kommen“, erläutert Dr. Oliver Rückert, Hausarzt und Obmann der Ärzteinitiative der Plattform Freiwilligkeit.
Umso erstaunlicher ist es für Dr. Rückert, dass der Obmann der ÖGK den „Arzt als Einzelkämpfer als nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet. „Es ist aus meiner Sicht exakt das Gegenteil der Fall. Corona hat eindeutig bewiesen, dass die wohnortnahe medizinische Versorgung durch uns Hausärztinnen und Hausärzte durch nichts zu ersetzen ist.“ Denn nur ein dichtes Netz an Einzelordinationen gewährleistet neben kurzen Wegen auch hochwertige Medizin. „Man muss als Ärztin oder Arzt im Idealfall seine Patientinnen und Patienten gut kennen sowie bestenfalls viele Jahre, ja ein Leben lang begleiten. Und das kann nur eine Einzelordination bieten.“
Primärversorgungseinheiten müssen wie vereinbart dringend evaluiert werden
Dr. Rückert versteht den Hype nicht, der seit einigen Jahren um die so genannten „Primärversorgungseinheiten“ gemacht wird. „Zu Beginn wurde in Niederösterreich zwischen damals noch Gebietskrankenkasse und Ärztekammer vereinbart, dass die Pilotprojekte der PVE evaluiert werden und zu diesem Zweck eine Parallelrechnung zwischen alter und neuer Leistungs- und Honoraraufzeichnung geführt werden muss. Damit kann man nämlich prüfen, ob diese PVE wirklich aus ökonomischer und vor allem aus medizinischer Sicht besser sind als Einzelordinationen. Diese Evaluierung wird jedoch bis dato offenbar verweigert, obwohl ich bereits mehrfach bei der für mich zuständigen NÖ Ärztekammer urgiert habe.“
Dr. Rückert hat inzwischen einige Hinweise aus der Kollegenschaft im Umfeld dieser PVE erhalten, wonach nun der Verdacht besteht, dass seitens einzelner PVE die Tendenz zur Einkommensmaximierung Vorrang vor medizinischen Zielen haben könnte. „Tatsächlich ist es so, dass das bestehende Honorierungsmodell tatsächlich einfachere medizinische Fälle tendenziell besser honoriert und der erzielbare Gewinn mit der Komplexität der medizinischen Betreuung der Patientinnen und Patienten abnimmt. Genau aus diesen Gründen benötigen wir dringend eine Evaluierung. Mit einer Evaluierung wäre es ja auch ein Leichtes, diesen Verdacht auszuräumen.“
Dr. Rückert sieht es ohnehin mit großer Skepsis, dass seitens der Vertragspartner einerseits strenge Vorschriften gemacht werden, aber andererseits die verschiedenen „Versorgungseinheiten“ mit komplett unterschiedlichen und damit wettbewerbsverzerrenden Möglichkeiten ausgestattet werden, vor allem was die Honorierung angeht. „Die ÖGK sollte sich nicht mit Parolen einbringen, wonach Einzelkämpfer Auslaufmodelle seien. Die ÖGK sollte sich endlich darum kümmern, dass für alle Niedergelassenen medizinisch vernünftige, angemessene, kostendeckende und vor allem faire Vereinbarungen entwickelt werden, und zwar egal ob sie in einer Einzelordination, Gruppenpraxis oder in einer PVE tätig sind.“
Denn nur unter solchen Voraussetzungen lässt sich die Versorgung im niedergelassenen Bereich optimieren und gleichzeitig könnte die Attraktivität der Kassenstellen wieder steigen. „Es ist schon grotesk, dass die Politik die Einzelordinationen buchstäblich verhungern lässt, die Primärversorgungseinheiten jedoch mit unglaublich viel Geld subventioniert und dann im gleichen Atemzug behauptet, die Einzelkämpfertätigkeit an sich wäre unattraktiv. Unter vergleichbaren Bedingungen für alle würde sich quasi überall von selbst der richtige Weg ergeben“, ist Dr. Rückert überzeugt.
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte könnten ganz Österreich ohne Probleme innerhalb weniger Wochen durchimpfen
Am Thema „Corona-Impfung“ lässt sich übrigens diese derzeit eindeutig negative Grundeinstellung gegenüber der niedergelassenen Ärzteschaft, aber gleichzeitig deren Wert deutlich belegen. „Wir niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte wären ohne irgendwelche zusätzlichen Vorbereitungen sofort in der Lage, gemeinsam mit den Gemeinden vor Ort die gesamte Bevölkerung nach Priorität gereiht innerhalb weniger Wochen durchzuimpfen. Wir bräuchten dazu nur genügend Impfstoff.“
Die Verantwortlichen kümmern sich jedoch um alles selbst, wollen das Rad offenbar unbedingt neu erfinden, teilweise mit grotesken Ansätzen, machen die Sache dabei unnötig kompliziert und sehen es aber nicht als wichtig genug an, sich um genügend Impfstoff zu kümmern. Die Impfstrategie in Österreich gleicht daher einer einzigen Katastrophe. „Und von solchen Verantwortlichen lassen wir uns erklären, dass der Arzt als Einzelkämpfer ein Auslaufmodell sei? All das macht mich um die wohnortnahe, hoch qualitative und vor allem noch vorhandene medizinische Versorgung unserer Bevölkerung mehr als besorgt. Noch gibt es genügend „Einzelkämpfer“ in den Ordinationen, was danach kommt möchte ich mir gar nicht vorstellen“, so Dr. Rückert zum Abschluss.
Wiener Neustadt, 15.3.2021
Kontakt: Michael Dihlmann
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