Offener Brief an Bundeskanzler Kurz, Gesundheitsminister Anschober sowie ÖGK Generaldirektor Mag. Wurzer vom 5.4.20

Sehr geehrte Herren!

Bereits am 27. März 2020 wurde Ihnen ein von mehr als 200 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten unterzeichneter offener Brief an Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober mit folgender Forderung übermittelt:

„Wir niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte fordern von der Bundesregierung, dass in Österreich nach deutschem Vorbild ebenfalls geeignete Maßnahmen in die Wege geleitet werden, um die Nachteile auszugleichen, die aufgrund eines durch COVID-19 eingeschränkten, aber aufrecht erhaltenen Ordinationsbetriebes entstehen.“

Leider hat es bis auf vereinzelte positive Rückmeldungen noch keinerlei offizielle Stellungnahme zu unserem berechtigten Anliegen seitens der Verantwortlichen gegeben.

 

In der Zwischenzeit hat sich die Österreichische Gesellschaft für Medizinrecht wie folgt zu diesem enormen Problem geäußert:

„Vorweg ist festzuhalten, dass es jetzt gerade die niedergelassenen Vertragsärztinnen- und Ärzte sind, welche seit der Frühphase der Pandemie nahezu einzig die medizinische Versorgung der Bevölkerung zur notwendig gewordenen Entlastung der Spitäler versorgungsrelevant aufrecht halten. Infolge der notwendigen Schutzmaßmaßnahmen geschieht dies nicht einmal unter kostendeckenden Bedingungen, wodurch tatsächlich Vertragsärzte die extramurale Gesundheitsversorgung nicht nur sichern, sondern derzeit sogar finanzieren.“

So heißt es weiter: „Vertragsärztinnen- und Ärzte müssen ihre Ordinationen geöffnet halten, obwohl man Patientinnen und Patienten seitens des Gesundheitsministeriums aufruft, zuhause zu bleiben und nicht zum Arzt zu gehen. Das ist in doppelter Hinsicht ineffizient. Einerseits, da es dadurch zu unkontrollierten Patientenströmen im Rahmen der Pandemie kommt, welche man ja verhindern möchte (um ein Ansteckungsrisiko – gerade auch für Ärzte – zu minimieren) und andererseits dadurch, dass die im Krisenfall erbrachten Leistungen nicht im Leistungskatalog abgebildet sind, wodurch Vertragsärztinnen- und Ärzte (v.a. bei Fachärzten) gezwungen sind, defizitär zu arbeiten. Vertragsärztinnen- und Ärzte tragen somit die Vorhaltekosten für die extramurale Versorgung allein.

Ein Teil der Vorschläge der Österreichischen Gesellschaft für Medizinrecht zur Behebung dieses Problems deckt sich mit unserer Forderung:

„Garantie seitens der Regierung an die Vertragsärztinnen- und Ärzte der vollkommenen Kostendeckung der Vorhaltekosten und der Existenzsicherung der Vertragsärztinnen- und Ärzte.“

„Volle Existenzsicherung bei CoVid-19 Infektion bzw. Kontakt, auch für Ärzte in der freien Praxis.“

„Es ist damit zu rechnen, dass sich große finanzielle Spätfolgen für Vertragsärztinnen- und Ärzte aufgrund der Einkommensverluste im 4. Quartal einstellen werden. Es ist daher eine Schutzgrenze in den Fällen vorzusehen, bei denen sich das Kassenhonorar unter dem jeweiligen Fachgruppendurchschnitt des vergleichbaren „Nichtkrisenquartals“ des Vorjahres befindet und ein Ausgleich in der Höhe des Differenzbetrages zum jeweiligen Fachgruppendurchschnitt zur Erreichung des Durchschnittes zu gewährleisten.“

 

Die zwischenzeitlich erfolgte Zusage der ÖGK, die nächsten Akontierungszahlungen laut Gesamtvertrag „trotz schwieriger Zeiten durchzuführen“, hat mit dieser Problemstellung nichts zu tun. Denn diese Akontierung bezieht sich noch auf den Umsatz des vierten Quartals 2019. Auch die nächste Abrechungsperiode des ersten Quartals im dritten Quartal 2020 samt Akontierung wird wohl noch kein Existenzproblem darstellen, denn da spielen lediglich die letzten zwei Märzwochen 2020 eine Rolle.

Der Ausgleich über die ersten elf „normalen“ Wochen des Jahres sorgt dafür, dass bei einem Umsatzrückgang von beispielsweise 50 Prozent in besagten zwei Wochen mit einem Umsatzrückgang gesamt von nur etwa acht Prozent über das ganze Quartal zu rechnen ist. Der daraus folgende Einkommensrückgang von rund 15 Prozent ist für die meisten Kolleginnen und Kollegen nicht existenzgefährdend und die Betriebskosten können noch finanziert werden.

Wie bereits von der Österreichischen Gesellschaft für Medizinrecht ausgeführt, wird das ab dem vierten Quartal völlig auf den Kopf gestellt. Denn dort wird das zweite Quartal abgerechnet und die Vorauszahlungen werden daran angepasst. Und das wird aus wirtschaftlicher Sicht für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte eine teilweise existenzgefährdende Katastrophe. Wenn nicht gegengesteuert wird.

 

Der NÖ Ärztekammerpräsident hat in einem Antwortbrief auf ein ähnlich gelagertes Anliegen von Kammermitgliedern geäußert, dass es „ein Wesen der Selbständigkeit sei, das unternehmerische Risiko selbst zu tragen.“ Er vergleicht uns in diesem Zusammenhang mit anderen Betrieben etwa aus Gastronomie und Tourismus, die jetzt eben schließen müssten und dadurch Umsatzeinbußen ohne Absicherung haben.

Wir jedoch haben unsere Betriebe im Unterschied zu Tourismusbetrieben derzeit noch geöffnet und brauchen daher als „selbständige Wirtschaftstreibende“ rasch genaue Informationen, wie unsere Leistungen sowie die Vorhaltung unserer Leistungsfähigkeit samt Infrastruktur in dieser Krise honoriert werden. Denn nur so sind wir in der Lage, die richtigen unternehmerischen Schritte zu setzen. Wir sind selbstverständlich bereit und willig, unseren Beitrag zur Bewältigung dieser Krise zu leisten. Das geht aber nur, wenn wir die anfallenden Kosten in unseren Ordinationen sowie unseren Lebensunterhalt auch bestreiten können.

Zusätzlich zur Wiederholung der nach wie vor bestehenden Forderung vom 27.3.2020 stelle ich daher folgende Frage:

Wie gedenken Sie, die Honorierung der Ärztinnen und Ärzte zu gestalten, die einen trotz COVID-19 eingeschränkten Ordinationsbetrieb zur Sicherung der medizinischen Grundversorgung in Österreich aufrechterhalten?

  • Ausgleich der finanziellen Nachteile etwa an Hand vergleichbarer „Nichtkrisenquartale“
  • Abrechnung anhand bestehender Verträge ohne zusätzlichen finanziellen Ausgleich
  • Eine andere Form der Honorierung, und zwar …

 

Ich merke mir eine Rückantwort auf diesen offenen Brief bis zum 10.4.2020 vor. Sollte ich eine Antwort bekommen, werde ich ihn über den Infomailverteiler der Ärzteinitiative der Plattform Freiwilligkeit verbreiten. Denn nur mit diesen Informationen ausgestattet können meine Kolleginnen und Kollegen ihre individuellen Entscheidungen über den zukünftigen Fortbestand bzw. die Organisation des Betriebs ihrer Ordinationen treffen. Sollte ich keine Antwort bekommen, werde ich das ebenfalls verbreiten. Damit wäre aber auch ganz klar, auf was wir uns zukünftig einstellen müssen.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Oliver Rückert, Ärzteinitiative der Plattform Freiwilligkeit

Wiener Neustadt, am 5.4.2020

info@plattform-freiwilligkeit.at

 

Ergeht in Kopie an

die Abgeordneten zum Österreichischen Nationalrat

den Presseverteiler der Ärzteinitiative der Plattform Freiwilligkeit

den Infomailverteiler der Ärzteinitiative der Plattform Freiwilligkeit

 

Offener Brief Kurz Anschober Wurzer Plattform Freiwilligkeit 050420