Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete zum Nationalrat!
Im Rahmen des Rechnungshofausschusses vom 28.9.2021 wurde das Thema Ärztemangel diskutiert. Den Medien ist zu entnehmen, dass dieser sowohl laut ÖGK-Generaldirektor Mag. Wurzer als auch laut Gesundheitsminister Dr. Mückstein weniger am Geld als an unattraktiven Arbeitsbedingungen läge. Weiters würden viele Ärztinnen und Ärzte „ein Angestelltenverhältnis vorziehen“ und seien mit den gängigen Arbeitszeitmodellen unzufrieden. Laut deren Ansicht seien daher auch Primärversorgungseinheiten (PVE) zu forcieren.
Ich bin Hausarzt in Niederösterreich und Obmann eines Vereins von Hausärztinnen und Hausärzten, der sich mit unserem beruflichen Umfeld und den damit zusammenhängenden Problemen sowie Lösungsvorschlägen befasst. Wir führen unter anderem regelmäßig Umfragen durch, an denen sich immer etwa 200 Hausärztinnen und Hausärzte aus Niederösterreich beteiligen. Aus den Antworten zu unseren Umfragen lassen sich auch gute Informationen und daher auch Lösungsansätze zum Thema Ärztemangel ableiten.
Ich möchte Ihnen nun im Folgenden einige Auszüge aus unseren Umfragen näherbringen:
Umfrage vom 9.6.2020: Meinungen zum Thema Primärversorgungseinheiten:
21% halten PVE grundsätzlich für sinnvoll.
53% sind der Meinung, dass PVE generell die niedergelassenen Einzel- und Gruppenpraxen in ihrer Existenz gefährden.
55% sind der Meinung, dass dringend eine Evaluierung der bestehenden PVE erfolgen muss.
64% sind der Meinung, dass bei der Bewilligung von PVE der bestehende Stellenplan strikt eingehalten werden muss.
78% halten eine materielle und finanzielle Bevorzugung von PVE für kontraproduktiv.
Umfrage vom 10.8.2020: Meinungen zum Thema vorzeitige Vertragskündigung:
45% sind sich sicher oder denken darüber nach, zumindest den Vertrag mit der ÖGK früher als ursprünglich geplant zu kündigen. Die Gründe:
55% davon kritisieren mangelnde Wertschätzung seitens der Öffentlichkeit.
57% davon beklagen mangelnde wirtschaftliche Perspektiven.
74% davon erkennen mangelnden Respekt seitens des Vertragspartners.
91% davon sehen den Leistungs- und Honorarkatalog als ungeeignet an.
Umfrage vom 6.11.2020: Meinungen zum Thema geeignete Maßnahmen gegen den Ärztemangel:
46% sprechen sich für ärztliche Hausapotheken für alle Hausärztinnen und Hausärzte aus.
74% wollen eine Aufwertung der Allgemeinmedizin.
88% sehen die Lösung im Umbau des Leistungskatalogs verbunden mit angemessener Honorierung.
Umfrage vom 1.5.2021: Meinungen zum Thema Impfen:
Im Rahmen unserer Umfrage vom 1.5.2021 wurden sowohl die Impfbereitschaft als auch die Impfkapazität neben der normalen Ordinationstätigkeit erfragt. Laut den Angaben der Hausärztinnen und Hausärzte in Niederösterreich wäre es problemlos möglich (gewesen), innerhalb von drei Kalenderwochen die impfbaren und impfwilligen Menschen des ganzen Bundeslandes gegen Corona durchzuimpfen, vorausgesetzt es wäre genügend Impfstoff vorhanden (gewesen). Und das auch noch zu einem unschlagbaren Preis, denn nach einschlägigen Schätzungen kosten ein Stich in einem Impfzentrum bis zum zehnfachen dessen was er in einer hausärztlichen Ordination kostet.
Die Politik hat jedoch auf teure Impfzentren und schwierige „Anmeldemodalitäten“ für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gesetzt, anstatt diese niederschwellig das tun zu lassen, was sie gelernt haben und in ihren Ordinationen sowieso tagtäglich tun. Sieht so Wertschätzung der Menschen aus, die das Gesundheitssystem als wesentliche Säule am Laufen halten?
Mein Resümee: Die Scheu vor Freiberuflichkeit der Ärzteschaft scheidet als Grund für den Ärztemangel definitiv aus. Denn es ist eine Tatsache, dass (freiberufliche) Wahlarztpraxen nach wie vor einen hohen Zustrom aufweisen und mittlerweile einen unverzichtbaren Bestandteil der Versorgung im niedergelassenen Bereich darstellen. Die ärztlichen Kooperationsmöglichkeiten im Bereich Gruppenpraxen oder etwa erweiterte Stellvertretung sind ausreichend vorhanden. Dieser Grund entfällt also ebenfalls. Die ergänzende Versorgung durch PVE trägt auch nichts zur Entschärfung des Ärztemangels bei, sondern sogar im Gegenteil. So lange diese finanziell und materiell subventioniert werden und bei der Implementierung wohl auch der jeweils bestehende Stellenplan als fixer Bestandteil des Kassenvertrags „nicht so genau genommen wird“, entsteht unlauterer Wettbewerb, der Ärztinnen und Ärzte davon abhält, sich im Umfeld solcher Zentren mit „herkömmlichen“ Kassenverträgen niederzulassen. Einmal ganz abgesehen davon, dass beharrlich eine Evaluierung verweigert wird, die eine positive Auswirkung solcher Zentren auf die Versorgung nachweisen, aber auch widerlegen könnte. Unsere Umfragen belegen weiters zweifelsfrei, dass der Ärztemangel nur durch einen sinnvollen Umbau des Leistungskatalogs verbunden mit angemessener Honorierung nachhaltig zu entschärfen ist. Vereinfacht gesagt: Man muss die Ärztinnen und Ärzte das machen lassen, wozu sie ausgebildet wurden – und sie angemessen dafür bezahlen.
Wer etwas über Ärztemangel und dessen erfolgreiche Bekämpfung lernen möchte, der ist aus meiner Sicht auch gut beraten, die Menschen zu befragen, die tagtäglich an der Front mehrere hunderttausend Menschen hochwertig primärmedizinisch versorgen. Vertreter genau jener Institutionen, die diesen Ärztemangel mitzuverantworten haben und unter Umständen etwa aufgrund der dualen Gesundheitsfinanzierung und deren Folgen noch nicht einmal Interesse an der Behebung des Ärztemangels haben, sind für eine nachhaltige Problemlösung jedoch nicht dienlich.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Oliver Rückert
Arzt für Allgemeinmedizin
Obmann der Ärzteinitiative der Plattform Freiwilligkeit
www.plattform-freiwilligkeit.at
Wiener Neustadt am 30.9.21