Informationsmail 43 der Plattform Freiwilligkeit vom 29.11.19

Die nun beginnende Adventszeit gibt uns Gelegenheit, einmal das Jahr 2019 im Rückblick zu betrachten und ganz vorsichtig in Richtung 2020 zu blicken. Zunächst zur Gesamtsituation: Mit Stand November 2019 sind allein in Niederösterreich 19 Kassenstellen für Allgemeinmedizin unbesetzt. Es hat sich also für 19 Stellen trotz ein- oder mehrmaliger Ausschreibung kein einziger Bewerber gefunden. Für uns ist das – entgegen der Meinung zahlreicher „Schönredner“ – ein klares Anzeichen, dass die Bedingungen des Kassenvertrags speziell für uns Hausärztinnen und Hausärzte stark verbesserungswürdig sind. Und die große Pensionswelle steht uns erst noch bevor.

Zu einigen Teilbereichen der ganz offenbar unzureichenden Vertragssituation: Die erste Jahreshälfte war von den Diskussionen rund um die Neuordnung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes geprägt. Ihnen allen ist es zu verdanken, dass wir den offensichtlichen Wunsch unserer gewählten Funktionäre, den bisherigen Ist-Zustand durch eine Verordnung zu zementieren, abwenden konnten. Hier hat sich deutlich gezeigt, dass es sich lohnt, für seine Forderungen zu kämpfen. Zumal ganz deutlich offensichtlich war, dass die Kammerlinie nicht dem Wunsch der klaren Mehrheit der betroffenen Mitglieder entsprach.

In der zweiten Jahreshälfte wurde über den jüngsten Honorarabschluss diskutiert. Die zunächst durchgesickerten Details waren teilweise unklar. Das dann bei der Kurienversammlung vorgestellte und auch beschlossene Paket ließ die Vermutung zu, dass es sich wohl um eine durchaus passable Vereinbarung handeln könnte. Zur Klärung, wer denn die „Gewinner“ und wer denn die „Verlierer“ aus den vorgenommenen Umschichtungen sind, haben wir Sie gebeten, uns einige Abrechnungsdaten bekanntzugeben. Wir haben dabei einen aus unserer Sicht unerwarteten Trend entdeckt:

Aufgrund unserer Analyse (mit vergleichsweise wenigen und leider auch suboptimalen Daten) sowie zahlreichen telefonischen Rückfragen kommen wir ganz klar auf die Vermutung, dass die großen Verlierer dieser Umstellung kaum Ärztinnen und Ärzte sind, die durch exzessive Labordiagnostik eine persönliche Einkommensmaximierung betreiben. Sondern es sind überwiegend diejenigen die großen Verlierer, die sich in Ihren Ordinationen mit vergleichsweise großem Einsatz zumeist in sehr ländlichen Regionen vergleichsweise umfangreich für bestimmte Patientengruppen einsetzen.

Beispielsweise für ältere Menschen, teilweise in Heimen, psychisch Kranke, chronische oder präoperative Patienten. Also Ärztinnen und Ärzte, die durch ihre Arbeit – auch in Sachen Labor – vergleichsweise facharzt- und spitalsentlastend arbeiten und den Patientinnen und Patienten dadurch lange, unnötige Wege ersparen. Wir haben den stellvertretenden Kurienobmann gebeten, einmal unsere Vermutung anhand der kammerintern zur Verfügung stehenden Daten zu prüfen und unsere Vermutung zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Das ist trotz mehrfacher Urgenz bis heute nicht geschehen. Unsere Vermutung bleibt daher aufrecht. Wodurch gerade die typischen Landordinationen weiter an Attraktivität verlieren. Das ist aus unserer Sicht eine große gesundheitspolitische und somit auch standespolitische Fehlentwicklung.

Auch beim Thema Primärversorgung weicht unsere Haltung ganz offensichtlich von der Haltung der Ärztekammer ab. Was für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte attraktiv ist, wirkt aufgrund von fragwürdigen Subventionen und Bevorteilungen gegenüber anderen Hausärztinnen und Hausärzten ganz klar wettbewerbsverzerrend. Das ist aus unserer Sicht nicht zielführend. Wir sind daher der Ansicht, dass die Entwicklung der Primärversorgung auf dem eingeschlagenen Weg höchst problematisch ist. Eine Ärztekammer ist aus unserer Sicht auch nicht dazu da, die Interessen Einzelner ohne Rücksicht auf die Gesamtgruppe zu vertreten.

Ein medizinischer Mehrwert von Primärversorgungszentren oder -netzwerken gegenüber der bisherigen Versorgung ist nicht erkennbar, außer durch die Bevorzugungen der Teilnehmer gegenüber allen anderen Hausärztinnen und -ärzten. Und genau diese Vorteile müsste man auch der Gesamtgruppe zubilligen. Da das nicht geschieht, werden die Einzelordinationen auch immer unattraktiver. Mittlerweile hat aufgrund dieser Fehlentwicklung auf allen Ebenen die Unbesetzbarkeit daher auch schon alle „Ordinationstypen“ in allen Regionen erreicht, selbst in größeren Städten.

Die weitere Entwicklung ist vorhersehbar: Wenn kein Umschwung in dieser Grundhaltung stattfindet, dann wird die Attraktivität der Kassenstellen weiter abnehmen und die Unbesetzbarkeit noch ungeahnte Ausmaße annehmen. Wir alle jedoch sind an unsere Ordinationen zumeist räumlich, aber in allen Fällen finanziell gebunden. Wir können nicht so einfach aufhören und eine andere berufliche Laufbahn einschlagen. Uns wird – wie jetzt schon zeitweise spürbar – der Ausgleich dieser gesundheitspolitischen Misswirtschaft abverlangt. Bis an die persönliche und finanzielle Leistungsgrenze, und das noch zu völlig unzureichenden Bedingungen. Das kommt schon fast einer Enteignung gleich.

Nach unserer Einschätzung steht außerdem früher oder später die Überführung der Primärversorgungseinheiten entweder in staatliche oder völlig private Hand bevor. Und egal ob dadurch im einen Fall Misswirtschaft oder im anderen Fall Profitmaximierung entsteht: Es wird teurer. Und da der Gesamtkuchen nicht größer wird, werden die niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzte weiter bluten müssen. Und genau dagegen lohnt es sich aus unserer Sicht zu kämpfen. Die freiberufliche Ärzteschaft ist der Garant für eine schlanke und effiziente Gesundheitsversorgung. Dafür brauchen wir angemessene und vor allem für alle Anbieter identische Arbeitsbedingungen, inklusive der Honorierung. Wenn Sie auch dieser Meinung sind, sind Sie in unserem Verein „Ärzteinitiative Plattform Freiwilligkeit“ herzlich willkommen.